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LZ-Artikel: Greenwashing, ade!

Die EU verschärft die Regeln zum Ökomarketing und wird damit die Werbung mit Umweltaussagen nachhaltig verändern. Jetzt müssen die Marketingabteilungen prüfen, was künftig noch möglich ist. Erste Optionen zeichnen sich ab. | Gerrit-Milena Falke

Die zwischenzeitlich wohl beliebteste grüne Werbeaussage „klimaneutral“ ist im Grunde tot. Daran wird auch das bevorstehende Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zur Causa „Katjes“ nichts ändern. Auch wenn die Karlsruher Richter am 27. Juni entscheiden sollten, dass die Unternehmen die Verbraucher „nur“ umfangreich über die getroffenen Maßnahmen zur CO2-Kompensation informieren müssen, wird wohl kein Unternehmen mehr auf den Claim setzen: zu klein der Platz auf der Verpackung, zu groß der Imageschaden, den die Aussage „klimaneutral“ infolge zahlreicher Gerichtsverfahren erlitten hat.

Zudem dürfte spätestens in zwei Jahren eine Marktbereinigung mit Blick auf grüne Werbeaussagen stattfinden. „Sobald Deutschland die EU-Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel in nationales Recht umgesetzt hat, wird es weitaus schwerer, Green Claims zu nutzen – und ganz viele Aussagen werden erst mal verschwinden“, sagt Astrid Luedtke, Partnerin der Kanzlei Heuking.

Experten sind überzeugt: Die Brüsseler Bemühungen, Greenwashing zu bekämpfen, schießen über das Ziel hinaus und werden zu einem „Greenhushing“ führen; Umweltbemühungen werden also nicht thematisiert. „Die Marktbereinigung bedeutet aber auch eine Chance für all jene Unternehmen, die künftig den gesetzlich vorgesehenen Mehraufwand betreiben – und damit Glaubwürdigkeit beim Kunden wiedererlangen können“, meint Luedtke.

Gezielte Marktbereinigung Mit der EU-Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel (EmpCo) werden künftig „allgemeine Umweltaussagen“ wie „umweltfreundlich“ oder „ökologisch“ ohne entsprechenden Nachweis im Geschäftsverkehr unzulässig. Nachhaltigkeitssiegel müssen auf einem Zertifizierungssystem beruhen. Begriffe wie „klimaneutral“ sind im Fall von CO2-Kompensationen verboten.

Anwendung finden diese Regeln ab dem 27. September 2026. Die EU-Staaten haben bis Frühjahr 2026 Zeit, die EmpCo-Richtlinie umzusetzen und Deutschland will dies auch rasch tun: Bis zum Sommer will das Bundesjustizministerium – wie berichtet – den Referentenentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) vorlegen. Misslich: Gleich zwei Generaldirektionen der Kommission haben zwei Richtlinien zur Umweltwerbung ersonnen. Brüssel hat es aber nicht geschafft, die eng mit der EmpCo zusammenhängende Green-ClaimsRichtlinie noch vor der Europawahl am 9. Juni zu verabschieden.

Damit drohen Widersprüche. Welche Art von Ökomarketing ist dann aber überhaupt noch möglich? „Jetzt schlägt die Stunde der Marketingabteilungen: Sie haben noch knapp zwei Jahre, um zusammen mit den Juristen das jeweilige Produkt Portfolio zu durchforsten und zu eruieren, wo Änderungsbedarf besteht – und wo der neue Rechtsrahmen mitunter noch Möglichkeiten für Werbung offen lässt“, meint Rechtsanwalt Daniel Kendziur von der Kanzlei SKW Schwarz. Ein solches „Hintertürchen“ sieht Kendziur in der EmpCo angelegt. „Allgemeine Umweltaussagen wie ‚umweltfreundlich‘ oder ‚biobasiert‘ sollen laut EmpCo zulässig bleiben, wenn es eine ‚normative Festlegung anerkannter Höchstleistungen‘ für ein bestimmtes Produkt oder eine Produktkategorie gibt.“ Als Beispiel für eine solche „normative Festlegung“ nennt er die Energieeffizienzklassen bei Weißer Ware wie Kühlschränken oder Staubsaugern. „Die EU-Kommission könnte entsprechend, beispielsweise im Bereich Verpackungen, bestehende ISO- oder DIN-Normen zum normativen Standard erklären.“ Mehr Nachhaltigkeitssiegel Zudem kann sich Kendziur vorstellen, dass es künftig vermehrt „Klimaneutral“-Werbung mit Kompensationsprojekten im Hintergrund – bezogen auf das jeweilige Unternehmen, nicht auf das konkrete Produkt – geben wird. „Die EmpCo verbietet den Begriff ‚klimaneutral‘ im Fall von CO2-Kompensationen explizit nur in Bezug auf ein konkretes Produkt, nicht hingegen mit Blick auf das Unternehmen. Da ist man sich noch unsicher, ob das ein Fehler im Gesetzestext ist oder bewusst so gewählt.“

Die EU verschärft die Regeln zum Ökomarketing und wird damit die Werbung mit Umweltaussagen nachhaltig verändern. Jetzt müssen die Marketingabteilungen prüfen, was künftig noch möglich ist. Erste Optionen zeichnen sich ab.

Fee Mäder, Partnerin der Kanzlei Oppenhoff, prognostiziert, dass „die Unternehmen demnächst vermehrt mit Nachhaltigkeitssiegeln werben, anstatt auf allgemeine Umweltaussagen zu setzen“. Laut der EmpCo werden Nachhaltigkeitssiegel – etwa symbolisierte Blätter oder Bäume oder grüne Siegel – nur noch erlaubt sein, wenn sie auf sogenannten Zertifizierungssystemen beruhen oder von staatlichen Stellen eingeführt worden sind. „Das Zertifizierungssystem soll sicherstellen, dass es sich bei dem Sie gelnutzer, Siegelinhaber und Siegel prüfer um drei voneinander unabhängige Parteien handelt. Es soll für alle offen sein und in Absprache mit den einschlägigen Experten und Interessengruppen entwickelt werden“, erläutert Constantin Eikel von der Kanzlei Bird & Bird. „Kurzum: Wenn ein Unternehmen derzeit sein eigenes Nachhaltigkeitssiegel nutzt, muss es die Verwendung des Nachhaltigkeitssiegels möglicherweise bis September 2026 einstellen oder es für alle Wettbewerber öffnen und es auf eine unabhängige Partei übertragen“, so Eikel weiter. „Hält das Unternehmen diese Spielregeln ein, darf es umgekehrt aber davon ausgehen, nicht von Wettbewerbern oder Verbänden ‚angeschossen‘ zu werden; es hat also Rechtssicherheit“, betont Anwältin Mäder den Vorteil des Nachhaltigkeitssiegels.

Zudem verleihe ein unabhängiges Siegel mehr Glaubwürdigkeit als ein von der eigenen Marketingabteilung ausgedachtes Etikett. „Mit den Regeln zu Nachhaltigkeitssiegeln hat Brüssel das Rad aber nicht neu erfunden: Sie sind vergleichbar mit denen zur Gewährleistungsmarke“, so die Kölner Juristin. Auch bei der Gewährleistungsmarke, die hierzulande seit 2019 eintragungsfähig ist, darf der Markeninhaber nicht zugleich Anbieter der Ware sein. Der „Grüne Knopf“ oder das „Ohne Gentechnik“-Siegel sind beispielsweise Gewährleistungsmarken. Risiko von mehr Food Waste Kendziur warnt: „Wenn ich mit Mandanten spreche, heißt es immer: ‚Wir haben ja noch zwei Jahre Zeit zur Umsetzung.‘ Tatsächlich müssen die Unternehmen jetzt anfangen, ihre Produkte auf die neuen UWG-Regeln umzustellen – gerade bei Lebensmitteln mit längerem Mindesthaltbarkeitsdatum –, denn die EmpCo sieht keine Übergangsfrist vor. Das ist ein völlig ungelöstes Problem.“ Der Münchner Anwalt hat jüngst ein Unternehmen gerichtlich vertreten, das ein Deodorant mit einem unzulässigen Öko-Claim beworben hatte. „Zum Glück wurde der Prozess im Wege des Vergleichs abgeschlossen. Denn hier stand plötzlich im Raum, dass all die falsch gelabelten, aber im Übrigen einwandfreien Produkte zurückgerufen und vernichtet hätten werden müssen. Das kann weder im Sinne der Verbraucher noch der Umwelt noch des Gesetzgebers sein.“

Derweil gibt es Organisationen, die ihr Geschäftsmodell durch die EU-Gesetzgebung bestätigt sehen. „Unser ‚ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaften‘ hat zum Ziel, das Thema Nachhaltigkeit für Unternehmen greifbar und glaubhaft kommunizierbar zu machen. Unternehmen, die nach unserem Standard zertifiziert sind – beispielsweise Ritter Sport, Develey oder Bitburger – werden von einer von elf Zertifizierungsgesellschaften geprüft, etwa vom TÜV oder Dekra. Hierbei handelt es sich um unabhängige Dritte, so wie künftig verlangt“, betont Axel Kölle, Leiter des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) der Universität Witten/Herdecke. Unterdessen enthält die EmpCo Neuerungen, die bislang in der öffentlichen Debatte kaum Beachtung finden, etwa im Kontext der „geplanten Obsoleszenz“. Darauf verweist Anwältin Luedtke: „Verkürzt ein Hersteller durch den Einbau von Schwachstellen absichtlich die Lebensdauer seiner Produkte, ist jedwede Werbung verboten. Das gilt laut den Erwägungsgründen sogar im Fall von Konstruktionsfehlern und gilt ab dem Zeitpunkt, ab dem dem Händler die relevanten Informationen zur Verfügung stehen.“ Luedtke nennt als Beispiel die Reklame für eine Waschmaschine. „Die Verkaufs- und Preiswerbung im Flyer des Händlers dürfte in solchen Fällen noch zulässig sein – nicht aber der Hinweis, dass die Maschine besonders wenig Strom verbraucht oder besonders wenig Waschmittel benötigt.

Gerrit-Milena Falker: Greenwashing, ade!

Ausgabe 24 | 14. Juni 2024 | Lebensmittel  Zeitung | JOURNAL