BioVal: Verbesserung von Biodiversität entlang der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln
Wie lässt sich die Biodiversität entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Lebensmitteln verbessern?
Mit dieser zentralen Frage beschäftigen wir uns im Forschungsprojekt BioVal (Biodiversity Valuing and Valuation). In Zusammenarbeit mit Unternehmen ermitteln wir seit 2021, wie Schutz und Förderung der Biodiversität in der Lebensmittelproduktion sinnvoll umgesetzt werden können. Dazu veranlasste uns die Notwendigkeit, die Bedrohungen der Biodiversität durch moderne landwirtschaftliche Praktiken gezielt anzugehen.
BioVal entwickelt praxisnahe Lösungen, um die negativen Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf die Biodiversität zu minimieren. Es wird untersucht, wie die teilnehmenden Unternehmen zur Förderung der Biodiversität entlang des Produktlebenszyklus beitragen, entsprechende Maßnahmen im Management verankern und erfolgreich kommunizieren können.
In fünf spezialisierten Forschungsmodulen konnten bereits wichtige Erkenntnisse für die Praxis gewonnen werden:
Modul 1 : Gesellschaftliche Werte
Bislang gibt es nur wenige Studien darüber, inwieweit ein Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Lebensmittelproduktion und -konsum sowie der Bedrohung der Biodiversität in der Gesellschaft vorhanden ist und wie diese Sensibilität gesteigert werden kann. Das Ziel des Projekts ist es daher, die gesellschaftlichen Werthaltungen in Bezug auf Biodiversität und Lebensmittelproduktion sowie das Bewusstsein über die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf die Biodiversität bei verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland zu erfassen.
Eine erste Onlinebefragung zur gesellschaftliche Perspektive auf Biodiversität in der Lebensmittelproduktion im Juni 2022 mit 1028 befragten Konsument:innen in Deutschland zwischen 18 und 75 Jahren zeigte eine hohe Relevanz den Themas. Beispielsweise gehen 55 Prozent der Befragten davon aus, dass der Rückgang der Biodiversität direkte Auswirkungen auf ihr persönliches Leben haben wird.
79 Prozent der Befragten, dass Lebensmittelproduzenten ihre Kundinnen und Kunden darüber informieren, welche Maßnahmen sie zum Schutz der Biodiversität ergreifen und 85 Prozent erachten es als wichtig, dass Unternehmen der Lebensmittelindustrie aktiv zum Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen.
Trotz dieser hohen Bedeutung wissen jedoch nur 17 Prozent genau, was Biodiversität bedeutet, und viele sind unsicher, wie sie selbst zum Schutz der biologischen Vielfalt beitragen können.
Eine Gruppendiskussion zum genaueren Verständnis wie das Bewusstsein zu Biodiversität der Konsument:innen im Alltag gesteigert werden kann zeigte, dass der Schutz der Biodiversität den Konsument:innen beim Lebensmittelkauf bisher kaum präsent ist. Entsprechende Kennzeichnungen auf Produkten wurden von den Teilnehmenden der Fokusgruppe nicht bewusst wahrgenommen. Zudem unterscheiden die Konsument:innen nicht zwischen verschiedenen Produkt- oder Warengruppen, wenn es um die Bedeutung des Biodiversitätsschutzes geht – für sie spielt es keine Rolle, in welcher Kategorie die Maßnahmen greifen.
Es wurde jedoch deutlich, dass große Unsicherheiten bezüglich der Wirksamkeit von Biodiversitätsschutz-Maßnahmen bestehen, und es herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber unbekannten Labels und Siegeln. Glaubwürdigkeit kann hier vor allem dadurch erreicht werden, dass an bekannte, etablierte Institutionen oder Marken angeknüpft wird. Gleichzeitig muss die Information und Aufklärung klar von Produktwerbung abgegrenzt sein, um Vertrauen zu schaffen.
Die Teilnehmenden wünschen sich dabei kurze, knappe, aber zugleich konkrete Informationen. Besonders wichtig ist, dass eine persönliche Ansprache erfolgt, indem ein direkter Bezug zum Alltag der Konsument:innen hergestellt wird. Dies kann durch anschauliche Beispiele, interessante Fakten und eine gezielte Wissensvermittlung gelingen.
Modul 2: Wirkungsabschätzung der Biodiversität
Methoden zur produktbezogenen Messung der Auswirkungen von Lebensmittelproduktion und -konsum auf die Biodiversität sind derzeit weder vollständig entwickelt noch etabliert – eine Herausforderung für Unternehmen die Biodiversität in die Produktentwicklung und das Lieferant:innenmanagement integrieren möchten.
BioVal überprüfte die bestehende Methode zur Biodiversitätswirkungsabschätzung nach Lindner et al. (2019) in Zusammenarbeit mit den Partnerunternehmen (FRoSTA, Ritter Sport, Seeberger) auf ihre Praxistauglichkeit. In einem iterativen Prozess wurde die Methode zur Abschätzung der terrestrischen Biodiversität hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit und Nutzer:innenfreundlichkeit optimiert, um eine leicht zugängliche und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Methode zu gewährleisten.
Parallel dazu wurden im Laufe des Projekts unter anderem Workshops gehalten und White Papers veröffentlicht, um die Teilnehmenden sowohl bei der Weiterentwicklung der Methode mitwirken zu lassen als auch die Allgemeinheit über Ratschlägen zur Bewertung der Biodiversität in der Ökobilanz zu informieren.
Modul 3: Biodiversität in Unternehmen
Biodiversität spielt in der Managementliteratur und unternehmerischen Praxis bisher eine untergeordnete Rolle, auch in der Lebensmittelbranche, obwohl diese durch landwirtschaftliche Flächennutzung stark auf die Biodiversität einwirkt. Es fehlt sowohl an praktischem als auch theoretischem Wissen darüber, wie biodiversitätsförderndes Wirtschaften kommuniziert werden kann. Für Konsument:innen ist daher oft nicht erkennbar, welche Produkte die Biodiversität schützen, was dazu führt, dass dieser Aspekt beim Kauf kaum beachtet wird.
BioVal untersuchte daher folgende Fragen: Wie kann Biodiversität in die Managemententscheidungen von Lebensmittelunternehmen integriert werden, sodass die Auswirkungen auf die Biodiversität entlang der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigt werden? Wie lässt sich ein solches Engagement sinnvoll kommunizieren, um Konsument:innen für den Erhalt der Biodiversität zu sensibilisieren? Und gibt es eine Zahlungsbereitschaft für biodiversitätsfreundliche Produkte?
In Zusammenarbeit mit FRoSTA, Alfred Ritter und Seeberger wird in Reallaboren erforscht, wie Unternehmens- und Produktionsprozesse biodiversitätsfreundlicher gestaltet werden können. Diese Reallabore arbeiten transdisziplinär, wobei Wissenschaft und Praxis gemeinsam Probleme definieren und praxisnahe Lösungen entwickeln. Begleitende Forschung unterstützt den Prozess.
Modul 4: Transdisziplinäre Integration
Ein transdisziplinärer Ansatz, der auf der Multi-Level-Perspektive (MLP) basiert, hilft, die verschiedenen Handlungsebenen (Nische, Regime, Landschaft) zu verbinden und das Bewusstsein für Biodiversität entlang der Wertschöpfungsketten zu steigern.
Das Projekt fokussiert sich auf zwei Hauptfragen: Wie können Unternehmen Biodiversität in ihre Entscheidungen einbinden, und wie lässt sich dieses Engagement gegenüber Konsument:innen vermitteln? Um das herzufinden, wurde Ende 2023 eine Conjoint-Analyse mit 1500 Befragten zwischen 18 und 75 Jahren durchgeführt. In dieser Analyse wurden die Befragten nach ihrer Einstellung zur Biodiversität, ihrer Bereitschaft, für biodiversitätsschonend produzierte Lebensmittel zu zahlen, sowie ihren Vorlieben bezüglich der Aussagen zum Biodiversitätsschutz auf Produktkennzeichnungen befragt.
Es stellte sich heraus, dass Konsument:innen großen Wert darauf legen, dass Lebensmittel biodiversitätsschonend produziert werden. Hinweise zum Biodiversitätsschutz auf Produkten fördern die Kaufbereitschaft, wobei der Preis zwar wichtig ist, jedoch nur für etwa ein Drittel der Befragten das entscheidende Kriterium darstellt. Besonders interessiert an Biodiversität sind Personen mit hohem Bildungsabschluss, überdurchschnittlichem Einkommen und Frauen, die tendenziell aufgeschlossener für das Thema sind. Jüngere Konsument:innen (18-40 Jahre) reagieren gut auf visuelle Darstellungen und einfache Slogans wie „Fördert die biologische Vielfalt“, während Konsument:innen mittleren Alters (41-60 Jahre) ein starkes Problembewusstsein und positive Einstellungen haben, aber preisbewusster sind. Vertrauenswürdige Informationen, wie Hinweise auf bekannte Standards und unabhängige Prüfungen, werden ebenfalls als entscheidend für die Kaufentscheidung angesehen. Demnach kann eine Kombination aus relevanten Kommunikationsbotschaften, wie Slogans und Biodiversitätswerten, eine breitere Zielgruppe ansprechen.
Die Ergebnisse dieser Analyse fließen in Empfehlungen für eine zielgruppenspezifische Kommunikation ein und wurden im Mai 2024 in Arbeitskreistreffen gemeinsam mit Unternehmen der Lebensmittelbranche diskutiert, wobei deren eigene Erfahrungen mit einbezogen wurden.
Parallel wird die Praktikabilität der in Modul 2 entwickelten Methoden zur Biodiversitätsabschätzung in Zusammenarbeit mit Unternehmen geprüft. In Workshops werden Datenanforderungen und technische Hürden analysiert, um die Methoden in Nachhaltigkeitsmanagement und Ökobilanzsoftware zu integrieren.
Modul 5: Formative Evaluierung
Zur Sicherstellung der Qualität des transdisziplinären Forschungsprozesses und der Wissensintegration im BioVal-Projekt begleitet das ZTG das Vorhaben durch eine formative Evaluation. Diese bewertet die Qualität der Partizipationsprozesse und des Wissenstransfers, da diese entscheidend für die mittel- und langfristige Wirksamkeit von BioVal sind. Die Evaluation startet mit Projektbeginn und wird als integraler Bestandteil des gemeinsamen Lernens verstanden, wobei zyklische Prozesse wie Experimentieren, Reflexion und Anpassungen im Vordergrund stehen. Ein zentrales Ziel ist die gemeinsame Reflexion von Prozessen, Ergebnissen und Einflussfaktoren, um Risiken frühzeitig zu erkennen und die Praxisrelevanz der entwickelten Lösungen zu gewährleisten
Im Fokus der formativen Evaluation stehen folgende Fragen: Welche Methoden eignen sich für die inter- und transdisziplinäre Integration? Wie beeinflusst der transdisziplinäre Ansatz den Umgang mit Risiken in den Reallaboren? Welche Projektmethoden sind besonders wirkungsvoll? Wie wird Wissen im Arbeitskreis Biodiversität verwertet, und welche Strategien zur Wissensvermittlung sind am effektivsten? Grundlage der Bewertung sind gemeinsam mit den Praxisakteur:innen erarbeitete Erfolgskriterien und Erwartungen. Die Evaluationsaktivitäten sind dabei strukturell in das Projekt integriert, einschließlich der Arbeit in den Reallaboren und der Treffen des Arbeitskreises Biodiversität.